»Gemeinsam sind wir stark«
Main-Echo Pressespiegel

»Gemeinsam sind wir stark«

Soziales: Haus Mirjam feiert 170-jähriges Bestehen und 20 Jahre Mutter-Kind-Einrichtung - Gespräch mit den Leiterinnen
Schöllkrippen  Das Haus Mir­jam in Sc­höllkrip­pen fei­ert beim Mir­jam­fest am Sams­tag, 11. Mai, sein 170-jäh­ri­ges Be­ste­hen und die Mut­ter-Kind-Ein­rich­tung blickt auf 20 er­folg­rei­che Jah­re zu­rück.

Unter dem Motto »Gemeinsam sind wir stark« beginnt der Festtag auf dem Gelände am Ortseingang, von Blankenbach kommend, um 14 Uhr mit einer Andacht, gestaltet von Domkapitular Clemens Bieber und Karlheinz Kluge, ehrenamtlicher Stiftungsvorstand (siehe »Hintergrund«). Weiter geht's unter anderem mit Hausführungen, Mitmachaktionen für Kinder, einer Tombola und einer Kunstausstellung.

Im Gespräch mit unserem Medienhaus beleuchten Sabine Jung-Schäfer (57) und Katharina Sckell (28) die wichtigsten Herausforderungen und Änderungen im Lauf der Jahrzehnte. Eine davon vollzog sich erst kürzlich im Bereich der personellen Zuständigkeiten: Jung-Schäfer, die schon seit insgesamt 27 Jahren im Haus Mirjam tätig ist, übernahm mit Gründung der Mutter-Kind-Einrichtung 2004 deren Bereichsleitung. Seit Oktober 2023 erfüllt sie diese Aufgabe »gleichberechtigt als Tandem« zusammen mit Sckell, die vor vier Jahren ins Haus kam.

»Unsere Zielgruppe ist sehr vielfältig«, sagt Sckell. Der Schwerpunkt liege immer noch auf jugendlichen Müttern und Frauen, die schon ab 13 Jahren mit ihren Kindern kommen können. Entsprechend der Gesetzesanpassung vor zwei Jahren öffne sich das Haus jetzt auch jungen Vätern und Eltern. Das sei zugleich eine Herausforderung, weil diese nicht mit den Müttern in Wohngemeinschaften leben dürfen, sondern mit ihren Kindern separat untergebracht werden müssen.

Aufgrund der langjährigen Erfahrung gebe es sogenannte Inobhutnahmen in der Mutter-Kind-Einrichtung kaum noch. In der Regel schicke das Jugendamt die Mütter mit ihren Kindern, andere melden sich sogar selbst. Der Einzelfall sei natürlich immer individuell. Dennoch sei die Basis gleich, weil die meisten betroffenen jungen Mütter, egal welchen Alters, auf einen »hochbelasteten Lebenshintergrund, inklusive Gewalterfahrungen«, blicken. Die jeweils angepassten Maßnahmen folgen einem »sehr strukturierten Tagesablauf, basierend auf pädagogischen und psychologischen Vorgehensweisen«. Dabei steht laut Jung-Schäfer der Schutz des Kindes im Vordergrund, da gemäß Bindungstheorie die ersten drei Lebensjahre die sensibelsten seien: »Hier werden die Fundamente für alle späteren Entwicklungen und Beziehungen gelegt«, ergänzt Sckell. Mit großem Erfahrungsschatz, Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl werde deshalb unter anderem beobachtet, wie die jungen Mütter mit ihren Kindern umgehen. Wichtig sei dabei, nicht über die Mütter hinweg zu entscheiden, sondern sie einzubeziehen.

Meist bleiben sie zwei bis drei Jahre im Haus Mirjam; Minderjährige oftmals bis sie 18 Jahre sind. Erst in Wohngemeinschaften, danach ziehen sie ins Haus Morgenstern mit seinen Verselbstständigungswohnungen, in denen sie auf die spätere Eigenständigkeit vorbereitet werden. Zur Seite stehen den jungen Müttern derzeit 23 Mitarbeiterinnen, von der Hebamme über die Erzieherin bis zur Sozialpädagogin. Die momentan 15 Frauen im Ehrenamtskreis unterstützen insbesondere später beim Leben mit Kind in der eigenen Wohnung.

Trotzdem ist der hundertprozentige Erfolg nicht garantiert: »Manchmal erkennen die jungen Mütter, dass sie den Anforderungen trotz aller Mühen nicht gewachsen sind«, so Jung-Schäfer. »Oder sie sind aus den vielfältigsten Gründen vielleicht gar nicht in der Lage, mitzuwirken«, ergänzt Sckell. Selbst wenn die Kinder dann doch in eine Pflegefamilie gegeben würden, sei die Maßnahme keinesfalls gescheitert: »Gemeinsam suchen wir für die Mütter und deren Kinder eine gute Lebensperspektive«, so Jung-Schäfer. Das gelinge häufig so gut, dass die Mütter ihre Kinder später besuchen können.

»Der Bedarf bleibt weiterhin hoch, unsere Warteliste ist lang. Das Jugendamt fragt in Vertretung für suchterkrankte Eltern sowie Kinder von Menschen mit Behinderungen vermehrt Plätze an«, so die Bereichsleiterinnen abschließend. Für die Zukunft wünschen sie sich, dass die Mutter-Kind-Einrichtung weiterhin ihren hohen Stellenwert behält und die jungen, in Not geratenen Mütter oder Eltern schon ab der Geburt ins Haus Mirjam kommen, um ihren Kindern eine gewaltfreie, gesunde Entwicklung zu ermöglichen.

Hintergrund: Haus Mirjam

Das Haus Mirjam in Schöllkrippen gliedert sich laut Homepage in drei selbstständige Bereiche: das Berufsförderzentrum (seit 1965), die Mutter-Kind-Einrichtung (seit 2004) und die Integrationsfirma Priska (seit 2005). Der Betreuungsschwerpunkt liegt auf jungen Frauen und Müttern mit Kindern, die aus sozialen Problemfeldern kommen oder Schwierigkeiten auf dem regulären Bildungsweg haben. Basierend auf Gesetzesänderungen öffnet sich das Haus seit 2022 zudem jungen Vätern.

Gegründet 1854 als "Katholische Rettungsanstalt für Mädchen", übernahmen seinerzeit die Nonnen vom Orden der "Armen Schulschwestern von unserer lieben Frau" in München die Betreuung im Kinderheim. 1878 kam eine Mädchenschule dazu. 1910 wurde die Betriebsform umgewandelt in eine öffentlich-rechtliche Stiftung, deren Zweck es bis heute ist, Kinder, Jugendliche und behinderte Menschen zu fördern. 1994 folgte die Anerkennung als Heilpädagogisches Heim. Kostenträger sind das Jugendamt (junge Mütter mit Kindern), der Bezirk (behinderte Menschen) und die Arbeitsagentur.

Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Räumlichkeiten erweitert und saniert, so dass unter anderem 2011 das Haus Morgenstern mit vier Verselbstständigungswohnungen und 2013 ein Ausbildungscafé entstanden. Weitere Errungenschaften sind die hausinterne Kinderbetreuung seit 2014 und der Ehrenamtskreis, der seit 2017 die jungen Mütter beim Übergang in ein unabhängiges Leben ohne Betreuung unterstützt. mst

07.05.2024
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