Die Aktivistin
Main-Echo Pressespiegel

Die Aktivistin

Starke Frauen: Hebamme Eva Placzek kämpft gegen Gewalt im Kreißsaal und für eine menschlichere Geburtshilfe - und das vielleicht auch bald als Miss Germany
Schöllkrippen  Dass sie ein­mal Hebam­me wer­den woll­te, wuss­te Eva Plac­zek schon als klei­nes Mäd­chen. Trotz­dem brach sie als 18-Jäh­ri­ge ih­re Aus­bil­dung nach ei­nem Drei­vier­tel­jahr wie­der ab. Zu bru­tal und scho­ckie­rend war das, was sie im Kreiß­saal sah und er­leb­te. Aber Eva Plac­zek ist nie­mand, der sch­nell auf­gibt. Ein paar Jah­re spä­ter be­gann die Sc­höllkrip­pe­ne­rin er­neut ei­ne Aus­bil­dung zur Hebam­me. In­zwi­schen ar­bei­tet die 25-Jäh­ri­ge in ih­rem Traum­be­ruf und kämpft für ge­nau das, was ih­rer An­sicht nach längst in den Kreiß­sä­len die­ser Welt Rea­li­tät sein soll­te: ei­ne men­sch­li­che­re Ge­burts­hil­fe.

Mit diesem Anliegen hat sie sich auch bei Miss Germany beworben und es bis in die Top 40 geschafft. Offenbar gefiel der Jury Eva Placzeks Engagement, das aus ihren negativen Erfahrungen resultiert.  Noch heute, Jahre später fällt es ihr sichtlich schwer darüber zu sprechen. In unserem Podcast hat sie es trotzdem getan. Denn man kann nur etwas verändern, wenn man davon weiß, wenn man darüber spricht. Das tut sie selber schon auf ihrem Instagram-Kanal (hebamme_evamona) und in ihrem Podcast, den sie zusammen mit ihrer Kollegin Ramona Schaab alle zwei Wochen herausgibt. »Frauenstark« heißt er.

Aber nicht nur deshalb passt Eva Placzek bestens in unsere Serie, sondern auch weil sie sich nicht von ihrem Ziel abbringen ließ. Und weil sie sich für andere einsetzt und stark macht, nicht nur für Frauen, auch für deren Kinder und ihre Väter. Und für einen Beruf, der für sie zu den schönsten der Welt gehört.

Das Vertrauen, das ihr von den Frauen entgegen gebracht wird, die Empathie, das Emotionale, all das schätzt Eva Placzek. Deswegen wollte sie Hebamme werden. Um Frauen dabei zu helfen, ihr Kind zur Welt zu bringen, ihnen zur Seite zu stehen. Umso geschockter war sie dann von der Realität im Kreißsaal, von der Gewalt, die sie sah. »Ich habe selber miterlebt, wie sich Ärzte mit ihrem Knie auf den Bauch der Gebärenden geworfen haben, um das Kind raus zu drücken. - Das sind Bilder, die gehen einem nie wieder aus dem Kopf; das sind Schreie, die vergisst man nicht«, sagt Eva Placzek.

Aber auch unerlaubte Medikamentengaben oder vaginale Untersuchungen ohne Einverständnis der Frau hat sie miterlebt. »Wenn man als Schülerin in der Ecke steht und sieht, wie einer Frau dabei die Beine festgehalten werden, dann denkt man sich: Das ist jetzt eine Vergewaltigung, die da gerade passiert.« Das Schlimmste für die damalige Hebammen-Schülerin war der Blick in die Augen der Frauen, wenn sie aufgaben, wenn sie alles lockerließen und alles mit sich machen ließen, weil sie nicht mehr konnten. »Das Gefühl Mittäter zu sein, indem man dabei steht und zusieht, ist sehr hart«, sagt Eva Placzek, die dieses Gefühl bis heute nicht losgelassen hat.

Warum die Frauen sich nicht wehren? »Sie sind in einer absoluten Ausnahmesituation, sie denken, dass der Arzt schon weiß, was er tut und sie wollen ja auch das Beste für ihr Kind«, erklärt Eva Placzek. Oft würden diese Maßnahmen auch mit einem Notfall begründet und im Namen des Kindes vorgenommen. Ob Notfall oder nicht - man müsse sich fragen, wie es überhaupt so weit kommen konnte? gibt die Fachfrau zu Bedenken. »Meistens ist die Einleitung einer Geburt der erste Schritt zur Pathologie, weil eingegriffen wird in den natürlichen Kreislauf.«

Die Geburtseinleitung, bei der meist durch die Gabe hormoneller Substanzen die Geburt künstlich ausgelöst werden soll, hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird in Deutschland mehr als jede fünfte Geburt eingeleitet. »Natürlich gibt es immer Situationen, bei denen eine Einleitung sinnvoll ist«, sagt Eva Placzek, aber man sollte nicht einleiten, weil die Frau gerade da ist oder weil Platz im Kreißsaal oder ein Bett frei ist. »Das hatte ich auch mehrmals.«

Durch eine Geburtseinleitung steigt das Risiko für Komplikationen. »Die Frauen gehen ins Krankenhaus und wollen eine natürliche Geburt, sie verlassen es dann mit einem absolut traumatischem Erlebnis«, sagt Eva Placzek. Für sie waren die traumatischen Erlebnisse irgendwann zuviel, auch wenn sie »nur« dabeistand. Sie kündigte, ging zur Lufthansa und arbeitete zwei Jahre lang als Flugbegleiterin. Parallel studierte sie per Fernstudium Wirtschaftspsychologie.

»Ich wollte wissen, wieso ein Betrieb, der eigentlich für den Menschen da sein sollte, so wirtschaftlich denkt. Ich wollte verstehen, was dahinter steckt: Eine Klinik ist ja nicht ohne Grund so, wie sie ist«, erklärt Eva Placzek. Irgendwann traf sie die Schulleiterin, bei der sie ihre Ausbildung angefangen hatte und erzählte ihr, dass Hebamme immer noch ihr Traumberuf sei. Eine Stunde später klingelte das Telefon und die Schulleiterin bot ihr einen Ausbildungsplatz an, Start in zwei Wochen und in einem anderen Kooperationskrankenhaus. »Dort war auch nicht alles optimal, aber besser«, sagt die junge Frau, die im Sommer ihren langjährigen Freund geheiratet hat.

Ebenfalls im Sommer hat sie ihr Examen gemacht. Seitdem arbeitet sie als freiberufliche Hebamme, um selbstbestimmt und außerhalb des Systems tätig sein zu können, in dem sie sich schon zu oft verloren hat. So sehr sie die Betreuung von Schwangeren und frisch entbundenen Müttern erfüllt - die Bedingungen, unter denen Frauen nach wie vor in vielen Kreißsälen noch entbinden müssen, lassen ihr keine Ruhe.

Ihr Traum, ihre Vision: »Ich möchte gemeinsam mit meiner Hebammen- und Podcast-Kollegin Ramona ein Geburtszentrum aufbauen, in dem alles unter einem Dach ist, was Schwangere und frisch gebackene Mütter brauchen - von Hebammen, Ärzten und Ärztinnen über Osteopathin und -innen bis hin zu KinderkrankenpflegerInnen.« Dort sollen die Frauen ganzheitlich und nur mit einer Akte betreut werden, auf die alle zugreifen. »Damit sie nicht zu fünf verschiedenen Anlaufstellen müssen und fünf verschiedene Meinungen zu hören bekommen.« Und sie sollen ohne Gewalt entbinden dürfen und mit Respekt behandelt werden, eben wie Menschen.

Nun hofft Eva Placzek, dass sie bei Miss Germany weiterkommt. Dass der jahrzehntealte Wettbewerb sich inzwischen von der ursprünglichen Schönheitskonkurrenz weg bewegt hat und nun Frauen sucht, die Verantwortung übernehmen wollen, gefällt der leidenschaftlichen Motorradfahrerin und Rugby-Spielerin.

Sollte sie im März bei der Endausscheidung im Europapark wirklich gewinnen, erhielte sie 25.000 Euro - ein finanzieller Anfang für ihr Geburtshaus. Aber auch so hat sich die Miss-Germany-Teilnahme in ihren Augen schon jetzt gelohnt: »Ich habe bei den Treffen so viele tolle Frauen kennengelernt und konnte Netzwerke knüpfen, allein das war es schon wert.«

NINA-ANNA BECKMANN
22.10.2022
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